Mittwoch

In einer Bibliothek

Der Versuch...

Hallo lieber Bücherwurm,

psst, bitte nicht aufschrecken, denn die vielen trivialen und die wenigen ehrwürdigen Bücher in diesen vor Wissen triefenden Hallen sollen ja nicht aus ihrer Ruhe aufgeschreckt werden. Wer ich bin? Ein armer Bücherwurm, der in einer fast ausweglosen Situation um Hilfe ruft. Denn seit Tagen sitze ich hier in dieser Bibliothek und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen - ohne Erfolg. Denn jedes Mal wenn ich von meinen Büchern, pardon, von den Büchern, die ich mir ausgeliehen habe, aufschaue, dann sehe ich Sie bei der Arbeit, konzentriert, anmutig, schön.

Es wäre viel zu schade, Sie nicht anzuschauen und den Blick wieder auf dieses triste Weißschwarz der Buchseiten zu wenden. Wer tauscht auch schon gerne die faszinierende Schönheit einer interessanten Frau gegen eine papierne Weisheit ein, auch wenn diese auf ihre Weise fesselnd sein kann? Und so sitze ich da, Stunde um Stunde, Tag für Tag, jetzt beinahe schon vier Wochen lang, und kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer wieder fangen Sie meine Blicke, immer drängender wird die Frage nach der Person, dem Menschen, der sich hinter dieser anmutigen Gestalt verbirgt. Helfen Sie mir, diese Frage zu lösen? Ich würde mich sehr freuen, Sie näher kennenzulernen und ein paar Worte mit Ihnen zu wechseln. Bestimmt haben wir uns viel zu sagen.

Andreas Wagner

... und die Antwort

Andreas!

Schau an, ein mutiger Mensch in der Bibliothek! Aber ausgerechnet jetzt: Ich liege in den letzten Zügen meiner Examensarbeit Weiß kaum, wo mir der Kopfsteht. Und Gefühle? Der Kopf hat die Führung übernommen und befiehlt ganz streng: »Bloß nicht verwirren lassen! Keine Eskapaden! Jetzt hat die reine Lehre Vorrang.«

»Aber vergiss mich nicht«, meldet sich der Bauch dazwischen: »Hast du nicht auch schon öfter gedacht: -Welch tiefgründige Augen er hat der Mann, der jeden Tag am Fenster sitzt-? Auch seine Blicke hast du wohlwollend registriert selbst hin und wieder verstohlen zu ihm rübergeschaut.«

Der Kopf: »Ich protestiere entschieden! Mit dem Schauen habe ich nichts zu tun; das warst du.« - Zugegeben, er ist mir nicht entgangen, dieser Andreas. Aber, also, ich muss schon sagen: Schönheit hier - und Weisheit dort. Das muss nicht sein! Wenn der mich erst mal kennenlernt wird er sich an dieser Trennung nicht mehr festhalten können. Ob er das wohl aushält?

Neugierige Grüße

Clara

Andreas antwortet Clara:

Liebe Clara,

ich möchte Dich ja nicht wieder bei Deinen Examensvorbereitungen stören. Der Kopf muss arbeiten? Soll er! Aber weißt Du, wenn der Bauch schon sagt: »Vergiss mich nicht!«, dann wird es höchste Zeit, dass auch er zu seinem Recht kommt, Examen hin, Examen her!

Deshalb möchte ich Dich zum Essen einladen! Widersprich bitte nicht denn Du weißt ja: Leib und Seele gehören zusammen. Und wie soll das Hirn arbeiten, wenn der Bauch leidet? Ich hoffe, Du bist mir nicht böse, dass ich Dich absichtlich missverstanden habe.

Andreas

PS: Schönheit und Weisheit zu trennen wäre sicher eine unverzeihliche Dummheit oder eine törichte Eitelkeit die nur Heiterkeit nach sich ziehen könnte. Deswegen unterstelle mir bitte keine Absichtlichkeit ob dieses Vergleiches. Wenn die Verständlichkeit der Zeilen zu wünschen übrig ließ, lag das, so hoffe ich, nicht an meiner Einfaltigkeit sondern eher an der Kompliziertheit der Vergleichbarkeit. Verstehst Du das?

Darauf Clara

Andreas,

wollen Sie mich wirklich nicht stören? Ich zweifle, muss Ihnen deshalb auch trotz Ihrer verführerischen Einladung sagen, dass darüber kein Zweifel bestehen darf: Ich bin wild entschlossen, mein Examen zu machen. Und niemand wird mich daran hindern, dies zu tun.

Wären Sie bereit, einstweilen beim »Sie« zu bleiben, nähme ich Ihre Einladung zum Essen gerne an. Ja dann, nur dann dürfen Sie es wagen, mich in der Bibliothek anzusprechen. So weit meine Begrenzungen. Ich freue mich auf ein Essen mit Ihnen, dann hat endlich auch mein Kopf Gelegenheit Ihnen zu sagen, dass er sich missverstanden fühlt Stolperte er doch über etwas anderes: Schönheit der Frauen hier - Weisheit der Bücher dort. Nein, nein, diese Zuordnung gefällt ihm gar nicht

Streitlustige Grüße

Clara

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