Donnerstag

Oscar Wilde an Robert Ross

Mein lieber Robbie, der Scheck traf heute morgen bei Coouk ein: vielen Dank. Der Hotelier schaute schon ein wenig ängstlich drein - genau gesagt ziemlich scheel -, ist aber jetzt wieder bester Dinge, nachdem ich ihm mitteilte, dassich heute nachmittag bezahlen werde.

Noch immer kein Lebenszeichen von Frank Harris: höchst ärgerlich. Ein reizender Junge namens Harold Mellor (mit vierzehn aus Harrow geflogen, weil der Kapitän der Kricket-Elf ihn liebte) wohnt mit seiner Mutter in der Nähe von Cannes und kommt jeden Morgen mit dem Fahrrad zum Frühstück herüber. Er ist ungefähr sechsundzwanzig, sieht aber jünger aus. Manchmal radelt ein sehr schlanker, blonder, kleiner Italiener mit ihm herüber. Er heißt Eolo; sein Vater, der ihn für 200 Lire an Harold verkaufte, gab allen seinen Kindern - siebzehn an der Zahl - Namen aus dem Mythologischen Wörterbuch. Harold ist ein netter Junge, aber der Kleine langweilt ihn. Es ist furchtbar traurig.

Am Freitag nahm er mich mit nach Nizza, und wir sahen Sarah in La Tosca. Ich ging hinter die Bühne, um Sarah zu besuchen, und sie fiel mir um den Hals und weinte, und ich weinte auch, und der ganze Abend war wunderschön. Du solltest unbedingt herkommen. Ich brauche Dich dringend. Was meine Wiedervermählung betrifft, so bin ich überzeugt, dass Du mich diesmal mit einem vernünftigen, praktischen, hässlichen Knaben mittleren Alters verheiraten möchtest, und der Gedanke passt mir gar nicht. Außerdem bin ich so gut wie verlobt mit einem achtzehnjährigen Fischer von ungewöhnlicher Schönheit. Du siehst also, es geht nicht so einfach.

Grüße an Reggie. Stets Dein
Oscar

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