Freitag

Nach dem Tod eines Kindes

Lieber Hans,

Du bist unterwegs und tust Deine berufliche Pflicht; dafür danken wir Dir. Vor allem dafür, dass Du sie trotzdem tust. Denn eigentlich ist Dir ja nicht nach Pflichterfüllung zumute. Uns alle hat der Tod unseres Kindes unbarmherzig hart getroffen, wir alle haben mit Schmerzen getrauert Wir alle werden immer um unseren Jungen trauern, aber immer mit dem aussichtslosen Schmerz der ersten Tage, Wochen, Monate...? So scheint es bei Dir zu sein. Du bist nach außen beherrscht und, so fühle ich es, nach innen verzweifelt; Du bist nach außen gelassen und, so fühle ich es, nach innen erstarrt; Du bist nach außen still und, so fühle ich es, wimmerst in Dich hinein. Wer verstände das besser als ich, wer könnte das besser mitempfinden als ich! Aber - verzeih mir, wenn ich es so scharf sage - ich finde, das ist ungerecht. Mehrfach ungerecht. Du trauerst in dieser schrecklichen Weise um das, was Du verloren hast. Unser Kind dagegen hat keine Schmerzen mehr. Und wenn nicht unser ganzes Bitten und Beten und Frommsein hohler Schein ist müssen wir hinzufügen: Es ist jetzt geborgen. Du trauerst in dieser schrecklichen Weise und übersiehst dabei die Familie, die Dir geblieben ist. War dieses eine Kind alles, sind unsere anderen Kinder nichts? Kommen sie nicht zu kurz, wenn sich ihre Eltern allein aufs Trauern um das verlorene beschränken?

Und nicht zuletzt: Unser Kind war ein Sonnenschein und hat seine elf Lebensjahre auch meistens wie reinen Sonnenschein erlebt. Sollen wir diesem kleinen, aber so erfüllten, jauchzenden Leben nun einen endlosen Trauerflor anhängen? Würden wir nicht mit solch' unaufhörlichem Trauern etwas Helles in Dunkles verwandeln und unsere schöne, wertvolle unauslöschliche Erinnerung in Finsternis verstecken? Sag' selbst: Wäre das nicht ungerecht?

Denk bitte nicht ich wolle Dich mit diesem Brief nur aufrütteln, aus Deiner Kummergrube herausreißen! Nein, ich meine das auch ohnedies ganz ernst: Es steht uns nicht zu, die Freude, die uns unser Kind lebenslang geschenkt hat, nun als schwarze Traurigkeit lebenslang weiterzugeben. Gelebte Freude hat keinen anderen Sinn, als zu erinnerter Freude zu werden. Erinnerte Freude gegen erinnerten Schmerz durchzusetzen ist nicht leicht, ich weiß. Das kostet Besinnung, Selbstüberwindung, immer wieder. Aber bewahren wir das Andenken unseres Sonnenscheins durch diese Bemühung nicht besser als durch düsteres Uns-treiben-Lassen?

Trauer ist gut und ist angemessen und ist notwendig. Wenn sie aber notwendig sein soll, muss sie nach und nach die Gestalt des Lebens annehmen. Wollen wir gemeinsam zuversichtlich darauf warten und dazu wirken?

In Liebe

Deine Gertrud

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