Mittwoch

Zwei ältere Leute

Der Heiratsantrag

Liebe Elisabeth,

Du wunderst Dich, dass Du einen Brief von mir erhältst? Da gehen wir nun seit ein paar Monaten fast jeden Tag im Park unserer kleinen Stadt miteinander spazieren, fuhren endlose Gespräche, und trotzdem gibt es Dinge, die man sich nicht zu sagen traut wenn der andere einem gegenübersteht Du und ich, wir beide haben viel erfahren in unserem Leben, schließlich sind wir ja auch nicht mehr die Jüngsten : Du warst verheiratet und ich auch. Beide haben wir unseren geliebten Partner verloren, der Tod hat seine Spuren hinterlassen. Wir haben Kinder und Enkelkinder, die uns brauchen. Trotz unseres Alters stehen wir mit beiden Beinen im Leben. Aber abends, vor allem an den langen Winterabenden, fühle ich mich doch sehr allein. Mir fehlt einfach jemand, mit dem ich reden, lachen kann, der da ist.

In der letzten Zeit habe ich oft über uns nachgedacht. Fühlst Du Dich nicht auch manchmal sehr allein? Ich weiß, Du lebst bei Deiner Tochter, hast in Ihrem Haus eine eigene kleine Wohnung - wie oft hast Du mir davon erzählt? Ich merke, dass ich schon wieder anfange, Drumherum zu reden. Dabei will ich Dich einfach nur fragen: Wollen wir es einmal zusammen probieren? Willst Du meine Frau werden? Ich weiß, es ist schon etwas verrückt wenn ich Dir mit meinen siebzig Jahren einen Heiratsantrag mache. Aber ich mag Dich sehr.

Dein Willi

Die Antwort

Mein lieber Willi, Du alter Schwärmer,

meinst Du es wirklich ernst? Ich kokettiere nicht, wenn ich so frage, denn ich kann »es« einfach nicht fassen. Da bist Du nun siebzig Jahre alt geworden, und immer noch ist es die Scheu, vielleicht die Angst vor einem »Nein«, einer vermeintlichen Kränkung, die Dich dazu bringt, in Herzensangelegenheiten '/.u schreiben, anstatt zu sprechen. Dabei, ach Willi, ich bin so gerührt, sehen wir uns fast jeden Tag.

Hör zu, Du Draufgänger, alles, was Du über die einsamen Winterabende und das Alleinsein schreibst, verstehe ich nur zu gut, weil ich es kenne. Aber müssen wir deshalb heiraten? Wer sollte uns verachten, wenn wir in »wilder Ehe« zusammen leben? Und wenn schon!

Brauchen wir einen Trauschein oder kirchlichen Segen, um den Lebensabend nicht ganz so allein verbringen zu dürfen? Ich meine: Nein! Wir sind, so glaube ich, erwachsen genug, um auf die offizielle Anerkennung unseres Wollens und Tuns zu verzichten.

Warum also erfüllen wir uns nicht den eigentlichen Wunsch und ziehen zusammen?

Deine Elisabeth

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