Mittwoch

Nach einem Faschingsball

Brief des Mannes

Sybille,

Du bist so weit und mir doch immer wieder so nah nach unserer wunderschönen Faschingsnacht.

Graf Dracula gesteht: Flirrende Sonnenstrahlfrau, Du hast mich erwärmt Blutrünstige Zeiten sind vorbei; der Weg nach Transsilvanien versperrt!

Darf ich Dir, Bezaubernde, erklären, was diese Entscheidung für einen Vampir bedeutet?

Ihr Menschen glaubt vielleicht, dass unsere Bisse in die Hälse schöner Frauen ein Zeichen von Liebe sind. Das ist nicht wahr! Zubeißen und aussaugen entspricht unserer Form der Nahrungsaufnahme. Menschliches Blut ist für uns lebensnotwendig. Schlägt aber unser Herz für eine Menschenfrau, vergeht uns der Appetit: Wir darben, werden bleicher und bleicher, meiden jeden Kontakt mit anderen Vampiren, ziehen uns zurück in einsame Wälder, bis wir sie überstanden haben - die Sucht auf das Blut.

Dieser Entwöhnungsprozess dauert je nach Vorleben unterschiedlich lange, manchmal zwei Wochen, manchmal zwei Jahre. In dieser Zeit verändern sich all unsere Gewohnheiten. Allmählich werden wir - wie ihr - auch in der Nacht müde, wählen als Schlafstatt ein Bett, ernähren uns von unserer Hände Arbeit... und werden zu lebendigen Menschen. All das passiert soeben mit mir. Eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist. Wirst Du noch ein wenig Geduld haben? Die neue Situation lässt mich hoffen, Dir bald als erwachsener Mensch begegnen zu können. Zur Zeit durchlebe ich das Schülerstadium, drücke acht Stunden am Tag die Schulbank und bereite mich auf ein neues Berufsleben vor. Das dauert noch zwei Jahre.

Aber Gott sei Dank, bisher gefällt mir die Umschulung, und alle vierzehn Tage gibt's ein langes Heimfahrwochenende. Magst Du mich dann sehen, auch ohne Kostüm? Zum Beispiel am ... um ... Uhr im Lesecafé oder bei mir? Ich würde mich sehr freuen.

Herzliche Grüße

Ernst

Antwort der Frau

Mein lieber Vampir,

ich kann es kaum erwarten, Dich wiederzusehen! Deine fröhliche Ausgelassenheit auf dem Faschingsball, diese Stunden zwischen Traum und Wirklichkeit in den Armen eines Vampirs, in Deinen verzaubernden, gar nicht so leblosen Armen...

... wie berauschend war dieses Fest wie betörend die knisternde Spannung.

Schade nur, dass so ein Rausch so schnell vergeht - die Wirklichkeit hat uns wieder.

Du sitzt nun auf Deiner Schulbank irgendwo in Norddeutschland und ich vor meiner Schreibmaschine: Tipp, tipp, kling, neue Zeile, Stop; hallo, Herr Lehrer, ich weiß was; ach Müller, wieder nicht vorbereitet heute; hurra, Volltreffer, sehr gut. So geht es Dir, so geht es mir. Geschafft, so sitze ich heute vor diesem Blatt Papier und schreibe Dir diese Zeilen, träumend und über beide Ohren verliebt. Du bist für mich die Farbe im Grau dieses Alltags. Ich mag Dich sehr.

Ich brenne darauf, Dich wiederzusehen. Sagen wir am nächsten Samstag so gegen sechs im Lesecafé, dann haben wir den ganzen Abend für uns Zeit.

Deine Sybille

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